Produktion, Reproduktion, Sprache

Der Abschnitt Produktion, Reproduktion, Sprache widmet sich sprachlichen Aspekten der Konstruktion von ökonomischen und geschlechtlichen VerhÀltnissen in Elfriede Jelineks Werk. In ihren Texten wird die metaphernreiche Sprache der Finanzspekulation, die sich hÀufig mehrdeutiger Begriffe bedient, mit den begrifflichen Quell- und Zielbereichen der Metaphern konfrontiert. Ebenfalls werden Begriffe, die die Beziehungen zwischen den Geschlechtern beschreiben, mit finanzspekulativen oder ökonomischen Metaphern kritisiert und in ihren wirtschaftlichen AbhÀngigkeiten ironisiert: ökonomische Begriffe wie beispielsweise Wert, Schöpfung, Kredit, Glaube, Schuld, Kapital, Ware, Gewinn und Lohn werden so mit ökonomiefernen Sprachbereichen der Religion, der SexualitÀt und sogar mit der Liebe zusammengebracht. Welche subversiven SpielrÀume ergeben sich hier?

Sprache und Markt

In den ironischen Sprachspielen Jelineks werden die ökonomischen Begriffe zurĂŒckgefĂŒhrt auf das, was sie vor ihrer metasprachlichen Bedeutung waren: Metaphern, in denen sich ein eng verzweigtes Assoziationsnetz zwischen Geld, Arbeit, Sprache, Kunst, Geschlecht, SexualitĂ€t, Religion und Macht aufspannt. Nicht nur in der Literatur, auch in der Wirtschaftswissenschaft wird diese Besonderheit ökonomischer Sprache hervorgehoben.

In Kopf oder Zahl [1] weist Jochen Hörisch auf den medialen Konflikt hin, der zwischen Sprache und Geld besteht. Als eigentlich sekundĂ€res, abstraktes Medium ist das Geld das unverzichtbare und grundlegende Steuerungsmedium sowohl gesamtgesellschaftlicher Prozesse als auch der Geschlechterbeziehungen. Dabei bedient sich die Finanzsprache einer gewissen LiterarizitĂ€t.[2] Die US-amerikanische Ökonomin und Rhetorikerin Deirdre N. McCloskey konstatiert in ihrem Artikel „Metaphors Economists Live By“, dass die Metaphern auch in der Wirtschaftssprache eine entscheidende Rolle in der Argumentation spielen und in einem gewissen Sinne eigentlich als literarisch zu interpretieren seien:

Sie [die Metapher] ist nicht nur eine Spielerei mit Worten oder mit Poetik noch insgesamt eine Redewendung. Sie ist „a structural mapping from one conceptual domain to another“. [3]

Rainer Hank, der McCloskeys Thesen nach der Finanzkrise von 2008 in seinem Artikel „Metapher statt Prophetie. Was Ökonomen von Geisteswissenschaftlern lernen können“[4] neu liest, unterstreicht, dass die Metaphern der Ökonomen keine uneigentliche Rede, sondern vielmehr sprachschöpferisch die abstrakten wirtschaftlichen Prozesse oder Handlungen veranschaulichten und argumentativ unterstĂŒtzten. Mit McCloskey sind Ökonomen damit eigentlich GeschichtenerzĂ€hler und Poeten, deren Aussagen nicht exakte wirtschaftliche Entwicklungen vorhersagen könnten, sondern erst gedeutet werden mĂŒssten.

In seinem Aufsatz „Vertrauensmetaphern. Kreditprobleme von Luhmann bis Kluge“[5] arbeitet Bern Blaschke heraus, dass die Metaphern in der wirtschaftlichen Kommunikation mit dem grundlegenden Problem des Vertrauens und dem Glauben an die ökonomischen Prozesse verbunden seien. Die Finanzkrise sei somit auch eine sprachliche Vertrauenskrise.

Simone Roggenbuck verweist schließlich auf eine spezifische UnschĂ€rferelation, die sowohl in literarischen Texten als auch in den Argumentationen von Ökonomen bestehe. Sie werde durch eine beiden zugehörige bildhafte, metaphernreiche Sprache erreicht, die bei den Rezipienten einen „flash of insight“,[6] einen Gedankenblitz, auslösten, der letztendlich zu einem eigenstĂ€ndigen kreativen Erkenntnisprozess fĂŒhre.

Ausgehend von diesem Kenntnisstand sollte die Analyse der Texte Jelineks einer diskursiven SchĂ€rfung unterzogen werden, in der Annahme, dass Jelineks Texte keine neuen Sachverhalte erschließen, sondern vielmehr in den Diskursgrenzen mit den Mitteln des jeweiligen Diskurses operieren.

Untersucht wurde demnach, inwiefern Elfriede Jelineks Texte Geschlechterdifferenz als Resultat von sprachlich-diskursiven Verfahren ausstellen. Damit in Zusammenhang steht die Frage nach performativen Aspekten der Konstitution von ökonomischen Bedingungen. Inwieweit formen bei Jelinek arbeitende Subjekte Geschlechterbilder? Inwiefern bedienen sie als (sprachliche) PerformerInnen durch die Reproduktion von vermeintlich geschlechtsspezifischen TĂ€tigkeiten und Rollen die makroökonomischen Asymmetrien? HierfĂŒr wurden die Romane Die Liebhaberinnen (1975) und Lust (1989) sowie der Theatertext Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder StĂŒtzen der Gesellschaften (1979) zur neuerlichen Untersuchung herangezogen. Lust weist bereits die fĂŒr Jelineks Texte typisch ambig codierte Sprache einer Logik aus Bewertung und v.a. Verwertung auf: ökonomietechnische Begriffe erscheinen durch den Kontext sexualisiert, gleichzeitig werden poetische Zitate in eine Semantik des Warenaustauschs, der Arbeit und des Kapitals gezogen.

Sprache der FinanzmÀrkte und deren geschlechtsspezifische Kontextualisierung

Ein Untersuchungsgebiet bildete die Frage, wie Jelinek den metaphorischen Reichtum der Finanzmarktsprache thematisiert und subvertiert (z.B. in ihrem Essay Zur Sicherheit, 2013 oder ihren Theatertexten Winterreise, 2011 und Aber sicher!, 2012). Anzuschließen wĂ€re hier etwa an eine Beobachtung Evelyne Polt-Heinzls anlĂ€sslich des 2010 vom Elfriede Jelinek-Forschungszentrum ausgetragenen Symposiums Kunst und Kapitalismus. Sie konstatiert, Jelineks „spezifische Spracharbeit spielt vor allem damit, dass die Wirtschaftssprache der Bereich ist, in dem sich in den letzten Jahrzehnten RealitĂ€t und die verwendeten Begriffe am weitesten auseinanderentwickelt haben.“[7] In diesem Kontext sollte auch erforscht werden, ob bzw. inwiefern sich KonjunkturphĂ€nomene wie Rezession oder Depression und Problematiken der Rationalisierung und Einsparung (z.B. in Rein Gold. Ein BĂŒhnenessay, 2012) in Jelineks sprachlicher Ästhetik manifestieren.

Von besonderer Relevanz angesichts Jelineks neuerer (Theater)texte erschienen zudem Analysen des Spannungsfeldes zwischen Sprache, Finanzspekulation und Religion. In diesem Bereich lassen sich Parallelen von Jelineks Werk zu den Werken anderer KĂŒnstlerinnen wie Renate Bertlmann oder Zenita Komad erkennen, die ebenfalls die phallisch aufgeladene Sprache der Ökonomie mit dem klerikalen Phallus analogisieren. In ihren Texten fĂŒhrt Jelinek „christliche Hochwertwörter“[8] mit dem Kontext der Sprache der Bankenspekulation gegenwĂ€rtig immer wieder, ganz offensichtlich etwa im Theatertext Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie (2009), eng. In Anlehnung an Franziska SchĂ¶ĂŸler kann diese Liaison außerdem mit dem Komplex der „Overconfidence“,[9] der ökonomische Entscheidungen von MĂ€nnern beeinflusst zusammengedacht werden. Die Studien Christina von Brauns Der Preis des Geldes [10] , aber auch Jochen Hörischs [11] bieten hierfĂŒr innovative AnknĂŒpfungspunkte. Das Projekt untersuchte demnach, wie Jelinek religiöse Hochwertbegriffe wie Glaube, Schuld, Hoffnung und Vertrauen, die mit den gleichlautenden Metaphern aus der Finanzwirtschaft korrellieren in einen geschlechtsdekonstruierenden, kritischen Zusammenhang [12] mit Fragen der Macht, Ausbeutung oder Diffamierung in Assoziation bringt.

Finanzspekulation, Religion, PatriarchaliÀt

Um ein Beispiel zur Kritik an der Verbindung zwischen PatriarchalitĂ€t, Religion und Finanzspekulation zu geben, wird eine Textstelle aus Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie (2009) vorgestellt. Hier werden die Mythen von zwei heilsversprechenden, mĂ€nnlichen Vorbildfiguren, Jesus und Herkules, miteinander verwoben und fĂŒr die agitierende Sprache der risikobereiten SpekulationsgeschĂ€fte benutzt: Wenn es um ökonomische Entscheidungen bzw. BegrĂŒndungen fĂŒr die Wahl einer Geldanlage geht, wird die Sprache der Erlösung durch die ‚richtige Wahl‘ der ‚richtigen Geldanlage‘ zitiert und ausgestellt, indem aus dem Johannes Evangelium Die Offenbarung des Vaters und der Mythos Herakles am Scheideweg analogisiert und mit der GeschĂ€ftssprache assoziiert werden:

[
] mit Hilfe ihres Geldes, welches Sie uns mutig anvertrauten, wir können ihn jederzeit einschlagen den Weg, das ist besser als ihnen den SchĂ€del, dieser Weg fĂŒhrt Sie direkt zu uns, der Weg, unweigerlich, der nach uns benannt ist, der aber nicht wir sind, das heißt, der Weg sind wir irgendwie schon auch, der Weg, die Wahrheit und das Leben [
], schlagen Sie ihn trotzdem ein!, nehmen Sie ihn ruhig, wir haben ihn schon!, und wer uns folgt, dem folgen wir noch lange nicht, Ă€hem 
 Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, sagt dieser Herr, der so heißt wie wir, aber nicht wir sind, weil er jetzt Herakles heißt, aber immer noch wir sind, wir sind der Weg, die Wahrheit und das Leben, wer an uns glaubt, der folge uns nach [
].[13]

WĂ€hrend der Herkules-Textstrang das Prinzip des Glaubens an die mĂ€nnliche Tugend erinnert, bindet die Erlösersprache Jesu Christi – „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ – die Heilsversprechung an die Körper und an das Leben existentiell: Mit diesem Zitat wird der Absolutheitsanspruch des Christentums, – und im Kontext des StĂŒcks der Absolutheitsanspruch der Spekulanten und ihres beworbenen Weges / Produkts formuliert. Das Heilsversprechen der Banken liegt im Glauben an das sich vermehrende, wachsende Geld, das an dieser Stelle durch die Ellipse von „Vater“ (Gott) aus dem ĂŒberaus bekannten Zitat des Johannesevangeliums mit dem Patriarchen oder Gott gleichgesetzt wird.

Ein weiteres Beispiel fĂŒr Jelineks komplexe Kritik der Matrix patriarchaler, handlungstiftender Ökonomiesprache findet sich in ihrem Theatertext Winterreise (2011), in dem der Skandal [14] um die ‚Bankenhochzeit‘ zwischen der Bayerischen Landesbank und KĂ€rntens Landesbank Hypo-Alpe-Adria thematisiert wird. Im 2. Akt fĂ€llt das Stichwort-Zitat: „Das Geld ist Braut.“ [15] Jelineks Text nimmt die Metapher von der ‚Braut‘ im BankengeschĂ€ft auf, doch durch den fehlenden Artikel („Braut“) wirkt der Satz hölzern und sperrig. Die ökonomische Metapher wird unstimmig, wenn die Braut menschlich auftritt, also die finanztechnische Metapher, die den Kauf einer Bank durch eine andere bezeichnet, rĂŒckĂŒbertragen wird auf die menschlichen ZusammenhĂ€nge. Bei einer nĂ€heren Betrachtung des wirtschaftlichen Begriffs zeigt sich sodann, dass die Frage, was eine Bankenhochzeit im wirtschaftlichen Sinne genau ist, z.B. durch einen Blick in Wirtschaftslexika nicht geklĂ€rt werden kann, da der Begriff nicht lexikalisiert ist. TatsĂ€chlich sind BrautkĂ€ufe in den modernen Gesellschaften zwar verboten, doch in der Sprache fĂŒr wirtschaftliche Transferaktionen sind archaische Gleichungen wie „Das Geld ist Braut.“ [16] erlaubt. Im Forschungsprojekt wurde demnach auch eruiert, ob die Wirtschaftswissenschaft das archaische Gesetz des „Vaters“ in ihren Metaphern erkennt oder ob dieser Bereich von der Geisteswissenschaft geklĂ€rt werden muss.

[1] Hörisch, Jochen: Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998.
[2] Amann, Wilhelm: Ökonomie – Narration – Kontingenz: Konstellationen [Einleitung]. In: Ders.: Ökonomie, Narration, Kontingenz. Köln: Fink 2014, S. 7-16, hier S. 14-15.
[3] McCloskey, Deirdre N.: Ökonomen leben in Metaphern. In: Diaz-Bone, Rainer / Krell, Gertraude (Hg.): Diskurs und Ökonomie. Diskursanalytische Perspektiven auf MĂ€rkte und Organisationen. Wiesbaden VS Verlag fĂŒr Sozialwissenschaften / GWV Fachverlage GmbH 2009, S. 109-124, hier S. 109.
[4] Hank, Rainer: Metapher statt Prophetie. Was Ökonomen von Geisteswissenschaftlern lernen können. wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/ (14.8.2014), datiert mit 22.6.2009 (= Wirtschaftliche Freiheit. Das ordnungspolitische Journal/Webblog).
[5]
Blaschke, Bern: Vertrauensmetaphern. Kreditprobleme von Luhmann bis Kluge. In: Amann, Wilhelm / Bloch, Natalie / Mein, Georg (Hg.): Ökonomie, Narration, Kontingenz: Kulturelle Dimensionen des Marktes. Paderborn: Fink 2014, S. 173-190.
[6] Roggenbuck, Simone: Bild und Paradigma. Wissensbilder in Ökonomie, Sprachwissenschaft und Kunst. In: Deutsche Zeitschrift fĂŒr Philosophie, Bd. 56 (5), 2008, S. 745-768, hier S. 747.
[7] Polt-Heinzl, Evelyne / Vogl, Joseph: Wirtschafts- und Finanzkrise in Elfriede Jelineks Die Kontrakte des Kaufmanns. Evelyne Polt-Heinzl und Joseph Vogl im GesprÀch. In: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek Forschungszentrum 2011, S. 316-326, S. 319.
[8] SchĂ¶ĂŸler, Franziska: Die Kontrakte des Kaufmanns. Rein Gold. In: Janke, Pia (Hg.): Jelinek-Handbuch. Stuttgart: Metzler 2013, S. 198-202, hier S. 202.
[9] Vgl.: Barber, Brad / Odean, Terrance: Boys will be boys. Gender, overconfidence, and common stock investment. In: The Quarterly Journal of Economics 116 (2011), S. 261-292, hier S. 262.
[10] Vgl. z.B. Braun, Christina von: Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte. Berlin: Aufbau Verlag 2012.
[11] Vgl.: Hörisch, Jochen: Man muss dran glauben. Die Theologie der MÀrkte. Paderborn: Fink 2013.
[12] Vgl. zum Zusammenhang von weiblicher Diffamierung und wirtschafltichem „Phallogozentrismus“: Hörisch, Jochen: Das Geschlecht des Geldes – Geldvermehrung, Kindeskinder, Zinseszinsen. In: Ders.: Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 113-139.
[13] Jelinek, Elfriede: Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie. In: Drei TheaterstĂŒcke 2009, S. 207–348, hier S. 284.
[14] Urschitz, Josef: Hypo: Die Abenteuer von Tilo Berlin, dem Stifter. In: Die Presse. URL: diepresse.com/home/wirtschaft/economist/532793/Hypo_Die-Abenteuer-von-Tilo-Berlin-dem-Stifter (28.4.2014), datiert mit 14.01.2010.
[15] Jelinek, Elfriede: Winterreise. Ein TheaterstĂŒck. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2011, S. 13.
[16] Jelinek, Elfriede: Winterreise. Ein TheaterstĂŒck. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2011, S. 13.
Zur Bankenbraut vgl.: Theiss, Stefani/Besser, Ralf : Wenn Unternehmen sich das Ja-Wort geben – Von der Beratungsarbeit mit Ritualen. In: www.besser-wie-gut.de/Artikel%20Rituale-Wirtschaftspsychologie.pdf (datiert mit 3/2002), abgerufen am 28.4.2014.

 

Materialauswahl zu diesem Themenbereich

Interview-Auszug aus: Bruggaier, Johannes: König Ödipus und die Alchemie: Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel und Regisseur Alexander Riemenschneider ĂŒber Elfriede Jelineks neues StĂŒck. In: http://www.kreiszeitung.de /kultur/koenig-oedipus-alchemie-2797310.html (3.7.2014), datiert mit 13.3.2013. (= MK Kreiszeitung, Syke, Deutschland).

Bruggaier: Herr Hickel, Sie haben Jelineks StĂŒck „Aber sicher!“ gelesen. Eine TextflĂ€che ohne Figuren, ohne Handlung und ohne Dialoge: Ist das nicht eine Zumutung?
Hickel: Es ist eine irrsinnige Provokation. Ich bin StĂŒcke von Schiller oder Wilde gewohnt. Da gibt es eine Handlung, und es bleibt nur die Frage, wie das Ensemble sie umsetzt. Das hier dagegen ist ja ein reiner Fließtext; sehr schwer zu lesen – aber mit vielen genialen Gedanken!
Bruggaier: Welchen?
Hickel: Es geht im Kern um eine erzkapitalistische, profitwirtschaftliche Privatisierung aller LebensverhĂ€ltnisse. Jelinek hĂ€ngt das an der Privatisierung öffentlichen Eigentums auf. Mich fasziniert, wie sie dabei den Aspekt der alchemistischen Finanzmarktprodukte aufnimmt und zu einer Frontalkritik vorantreibt. Zur Kritik an einer Transformation unserer Gesellschaft. An einer Ökonomie, die eine Gesellschaft umformt, statt sich in sie einzubetten.

Helga Gallas (Bremen): Referat gehalten bei der Veranstaltung „Reality Check“ zu Elfriede Jelineks „Aber sicher!“ vom 6. April 2013 am Theater Bremen:

[...] Wenn man Rudolf Hickel hört, wie er die ZusammenhĂ€nge so gut erklĂ€rt, auf die Jelinek sich bezieht, stellt sich sofort die Frage: warum dann noch Jelineks Text? Denn eines ist klar: Jelineks Text bietet keine bessere AufklĂ€rung als ein guter Wirtschaftsbericht. Wenn ich mich gut informieren will, dann bin ich beim Ökonom Hickel besser aufgehoben. Frage also: Was leistet Jelinek mehr oder anderes? Eine erste, vorlĂ€ufige Antwort:

1. Man sitzt im Theater, hört fast zwei Stunden intensiv zu und muss immer wieder lachen oder wenigstens schmunzeln. Bei der LektĂŒre eines Artikels im Wirtschaftsteil der Zeitung gibt es nichts zu lachen, da liest man nĂŒchterne Fakten – eine deutsche Stadt verkauft oder vermietet ihr Abwassersystem an einen US-Investor und leased oder mietet es dann zurĂŒck – hat aber aktuell einen Bargeldvorteil. Der Investor hat davon einen Steuervorteil, das Ganze wird dann noch versichert, die Schulden aber als Wertpapier weiterverkauft – CDOs und CDSs. Man schaltet schnell ab, man will es gar nicht so genau wissen.
2. Der ganze Irrsinn dieser Finanz-Manöver wird deutlich, wenn Jelinek sie auf eine gelĂ€ufige Redensart bezieht. Wenn jemand sehr, aber zwielichtig erfolgreich ist, sagen wir: der macht aus Scheiße Geld. Und diese Metapher wird in den Cross-Border-GeschĂ€ften fast real. Wieso kann man mit unserer Scheiße Steuern sparen und am Ende daraus noch ein Wertpapier machen, das weiterverkauft werden kann? Jelinek spielt mit dieser Scheiße-gleich-Geld-Metapher und variiert sie immer weiter, es gibt x-Wiederholungen, sie erweist sich dabei als wahre Sprachakrobatin – das ist ein kleiner Dreh im VerhĂ€ltnis zu den nackten Fakten, der durchaus komisch ist. [...]

 

Textauswahl

ROMAN

Lust (1989)
Jelinek, Elfriede: Lust (1989) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1989.


DRAMEN

Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie (2009)
Jelinek, Elfriede: Die Kontrakte des Kaufmanns. Rechnitz (Der WĂŒrgeengel). Über Tiere. Drei TheaterstĂŒcke. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2009, S. 207-348.

Winterreise. Ein TheaterstĂŒck (2011)
Jelinek, Elfriede: Winterreise. Ein TheaterstĂŒck. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2011.

Rein Gold. Ein BĂŒhnenessay (2012)
Jelinek, Elfriede: Rein Gold. Ein BĂŒhnenessay. (2012) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2013.

Die Straße. Die Stadt. Der Überfall (2012)
Jelinek, Elfriede: Die Straße. Die Stadt. Der Überfall. a-e-m-gmbh.com/wessely/fstrasse.htm (15.7.2014), datiert mit 3.11.2012 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Archiv 2012, Theatertexte).

Aber sicher! (2012) [Zusatztext zu Die Kontrakte des Kaufmanns]
Jelinek, Elfriede: Aber sicher! 2. Akt. Was bleiben kann, wenn man es weglĂ€sst. In: Berz, Peter u.a. (Hg.): Spielregeln. 25 Aufstellungen. Eine Festschrift fĂŒr Wolfgang Pircher. ZĂŒrich: Diaphanes 2012, S. 307-316. (= 3. Fassung)
Jelinek, Elfriede: Aber sicher! (eine Fortsetzung). In: manuskripte 189/190 (2010), S. 254-269. (= 2. Fassung) auch in: a-e-m-gmbh.com/wessely/fasicher.htm (15.7.2014), datiert mit 4.10.2009 / 18.4.2012 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Archiv 2009, Archiv 2012, Theatertexte).
Jelinek, Elfriede: Aber sicher! (eine Fortsetzung). a-e-m-gmbh.com/wessely/fasicher.htm (15.8. 2010), datiert mit 4.10.2009 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Aktuelles, Theatertexte). (= 1. Fassung).

Warnung an Griechenland vor der Freiheit (Zusatztext zu „Die Kontrakte des Kaufmanns“) (2014)
Jelinek, Elfriede: Warnung an Griechenland vor der Freiheit. (Zusatztext zu „Die Kontrakte des Kaufmanns“) a-e-m-gmbh.com/wessely/fgriechen.htm (15.7.2014), datiert mit 2.6.2014 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Aktuelles 2014, Theatertexte).

ESSAYS

Zu Christopher Marlowes „Der Jude von Malta“ (2001)
Jelinek, Elfriede: Zu Christopher Marlowes „Der Jude von Malta“. (In der Übersetzung von Elfriede Jelinek und Karin Rausch) In aller Unschuld. a-e-m-gmbh.com/wessely/fmarlowe.htm (15.7.2014), datiert mit 29.11.2001 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Archiv 2001, zum Theater).

Geld oder Leben! Das Schreckliche ist immer des Komischen Anfang. Elfriede Jelinek
im e-Mail-Verkehr mit Joachim Lux.
(2009)
Jelinek, Elfriede/Lux, Joachim: Geld oder Leben! Das Schreckliche ist immer des Komischen Anfang. Elfriede Jelinek
im e-Mail-Verkehr mit Joachim Lux.
In: Programmheft des Hamburger Thalia Theaters zu Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns“, 2009.

Zur Sicherheit (2013)
Jelinek, Elfriede: Zur Sicherheit. 204.200.212.100/ej/fsicherheit.htm (04.11.2014) datiert mit 7.12.2013 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Notizen, Aktuelles).http://204.200.212.100/ej/fsicherheit.htm (04.11.2014) datiert mit 7.12.2013 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Notizen, Aktuelles).

Treib gut! (23.6.2014)
Jelinek, Elfriede: Treib gut! a-e-m-gmbh.com/wessely/farmut.htm (15.7.2014), datiert mit 23.6.2014 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Aktuelles 2014, zu Politik und Gesellschaft).

Im Wettbewerb (2010/27.6.2014)
Jelinek, Elfriede: Im Wettbewerb. a-e-m-gmbh.com/wessely/fimwettbewerb.htm (15.7.2014), datiert mit 2010 / 27.6.2014 (= Elfriede Jelineks Website, Rubriken: Aktuelles 2014, Theatertexte).

SekundÀrliteratur [Auswahl, siehe auch Opens internal link in current windowBibliographie]

LĂŒcke, BĂ€rbel: Ökonomische Gewalt und Oikodizee. Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie (mit einem rhizomatischen Exkurs zu Marlowes „Der Jude von Malta“, Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ und CĂ©sar Airas Roman „Gespenster“). www.vermessungsseiten.de/luecke/jelinek3.pdf (17.7.2014).

LĂŒcke, BĂ€rbel: Ökonomische Gewalt und Oikodizee. Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie“. In: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek.Forschungszentrum 2013, Praesens Verlag Wien, S. 41-57.


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